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Vier Köpfe, vier Ideen: Kamikaze

Ihre Einflüsse reichen von Radiohead zu Ligeti, von Math-Metal zu Björk, von ihren Jazz-Wurzeln zu Led Zeppelin – die Schweizer Formation Kamikaze liebt es, Grenzen einzureißen. Tobias Fischer sprach mit der Band über die Songs ihrer neuen EP „Beta“, die Recording-Sessions in einem Chalet und das besondere Gefühl, einen alten Synthesizer unter den Fingern zu spüren.

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Beat / Wie ging es mit der Band los?

Fabio / Unsere ersten Proben fanden in einem kleinen Übungsraum an der Jazzschule in Bern statt. Nach der Visite des Sicherheitsdiensts schlichen wir uns heimlich in das Zimmer und spielten. Es war nicht immer produktiv, da die Proben von ein bis drei Uhr am Morgen stattfanden. Wir hatten aber eine tolle Zeit und erinnern uns immer wieder gerne daran zurück.

Beat / Wie würdet ihr den Weg von eurem Debüt „Alpha“ hin zur „Beta EP“ beschreiben?

Kamikaze / Wir wissen, dass wir eine große Bandbreite an Stilen abdecken können. „Alpha“ ist da noch eine Spur extremer, da es von wirklich jazzigeren Klängen bis zu brachialen Rock-Passagen alles beinhaltet. Dadurch, dass wir für „Beta“ an richtigen Songs gearbeitet haben, hat sich die Linie klar verdeutlicht, ein roter Faden ergeben.

Beat / Wie sahen die Aufnahmen zu „Beta“ aus?

Fabio / Die Musik entstand in einem Chalet in den Schweizer Bergen. Mit einem RME-Interface und einigen guten Mikrofonen verschanzten wir uns da einige Tage. Die Drums wurden im Wohnzimmer aufgenommen, während Gitarren- und Bass-Amp im ersten Stock vor sich hin dröhnten. Die Stimmen wurden dann in einem kleinen Nebenzimmer aufgenommen. Die Erfahrung, so abgeschottet in einem 20-Seelen-Dorf eine CD aufzunehmen, war schon inspirierend. Das Chalet haben wir nur ein einziges Mal für einen Spaziergang verlassen.

Beat / In wieweit macht sich so ein Studioaufenthalt bezahlt?

Jerry / Im Studio wagt man sich in eine Zone außerhalb seines Komfort-Bereichs. Da wir in Berlin, Bern und Lausanne leben, tut es besonders gut, sich für eine Woche zu treffen und überhaupt wieder mal zusammen zu sein.

Fabio / Wenn ich die Songs geschrieben habe, freue ich mich jedes Mal auf die Konfrontation mit der Band. Dies ist manchmal nicht einfach, da ich mir eine bestimmte Richtung ausmale, in die das Stück gehen soll, und es dann oft passiert, dass die anderen drei sich in eine total andere bewegen. Dies ist aber ein extrem wichtiger Prozess. Vier Köpfe mit vier Ideen sind einfach besser, als nur ein Kopf mit einer Maschine!

Beat / Wie würdet ihr eure Leidenschaft für Equipment beschreiben?

Alex / Für mich ist Technologie eine große Inspiration. Ich habe mit einem Freund vor einiger Zeit das „Tokyo Data Collective“ gegründet, mit dem wir letztes Jahr in der Kunsthalle Platoon in Berlin als Artist in Residence aktiv waren. Dabei dreht es sich um Installationen mit Geräuschen, LEDs und Servo- Motoren. Ich beschäftige mich viel mit den Korrespondenzen zwischen Visuals, Sound und Bewegung. Es ist faszinierend, wie sehr diese Elemente miteinander verknüpft sind.

Fabio / Ich kenne mich zwar nicht schlecht aus mit den neusten Technologien, bin aber doch eher ein Fan von analogen Geräten. Ich benutze Ableton, um die Songs etwas zu arrangieren. Daraus entstehen auch hin und wieder mal Samples. Das Gefühl, das mir ein alter Synthesizer geben kann, gefällt mir aber doch besser.

Beat / Welche Geräte spielen derzeit ganz konkret eine wichtige Rolle?

Fabio / Vor ein paar Jahren habe ich mich total in analoge Synthesizer verliebt. Also habe ich mir einen Juno-60 und einen Crumar bit-01 zugelegt, welche übrigens gemeinsam super klingen! Später habe ich von einem Freund einen Korg MS-20 ausgeliehen. Von dem war ich so inspiriert, dass ich einen Song aufgenommen habe, mit etwa sechs Spuren nur Korg MS-20. Der Song ist auf der Beta-EP und heißt „Tomorrow“. Ansonsten spiele ich einen alten Marshall- Verstärker mit einem 4x12-Zoll-Cabinet mit Celestion Greenbacks Speakers. Es ist ein 100-Watt- Amp, weshalb ich mir einen Attenuator von Weber dazu gekauft habe. Dieser erlaubt mir, auf leiserer Lautstärke trotzdem die natürliche Verzerrung des Amps zu hören. Ich liebe die Moogerfooger-Effektgeräte, nicht nur auf der Gitarre, sondern auf allen möglichen Instrumenten. Für die Vorproduktionen benutze ich unter anderem SoundToys und URSPlug- ins, welche mir sehr gut gefallen.

Alex / Ich spiele ein altes Slingerland-Set aus den Sechzigern. Um meine Samples zu triggern, benutze ich einen APC-Controller und ein Roland-Pad. Es gefällt mir, zwischen elektronischen Texturen und analogen Sounds zu wechseln, oder sie zu verbinden. Ich arbeite nebenbei noch als Sounddesigner und habe es immer interessant gefunden, diese beiden Welten zu vermischen.

Beat / Ihr scheint tiefe Wurzeln im Jazz zu haben.

Jerry / Unsere persönliche Beziehung zum Jazz ist in der Tat sehr groß und wir sind oder waren alle sehr verwurzelt in der Berner Jazzszene. Musikalisch haben wir uns mit Kamikaze vom Jazz aber etwas distanziert. Die Improvisation tritt heute schnell in den Hintergrund.

Fabio / Was mir immer noch am Jazz gefällt: dass man unter Umständen ein wahnsinnig gutes Konzert mit Leuten spielt, die man gar nicht kennt! Man teilt eine sehr instinktive und intime Erfahrung mit anderen Musikern. Es ist, als ob man mit guten Freunden spät nachts irgendwo um einen Tisch sitzt und bei ein paar Bier über Gott und die Welt redet.

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