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Produzieren auf höchstem Niveau: Soundcloud

Senden, empfangen, austauschen – so ließe sich die Grundidee hinter Soundcloud beschreiben. Bekanntlich aber ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile, und so hat auch dieser neue Musikservice einige Überraschungen zu bieten.von Alexander Weber 

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Die Demokratisierung des Musikgeschäfts schreitet voran. Kleine Labels oder Künstler erlangen durch Distributoren wie „rebeat.com“ Zugang zu den großen Online-Stores, Plattformen wie MySpace oder Last.fm knüpfen den Kontakt zwischen Künstlern und Publikum, soziale Netzwerke wie Facebook, StudiVZ und Twitter spiegeln mit ihren Mikro-Blogging-Diensten die allgemeine Befindlichkeit wider. Da passt es gut ins Bild, dass mit Soundcloud, einem der wohl ehrgeizigsten Web-2.0-Projekte der letzten Jahre, seit Mitte Oktober nun auch eine kleine, aber feine Musikplattform für Produzenten am Start ist.

 

Was bisher geschah

Die Idee zu Soundcloud geht auf die beiden Gründer Alex Ljung [1] und Eric Wahlforss [2] zurück, die ursprünglich etwas ganz anderes im Sinn hatten: „Es begann alles im Herbst 2006 in Stockholm, als Eric und ich an einem Online-Musikprojekt arbeiteten. Im Frühjahr 2007 entschieden wir, die Idee dahinter grundsätzlich zu überdenken. Damals wurde uns klar, dass die Probleme, die wir beide mit Online-Musik hatten, eigentlich in deren Abwicklung selbst begründet lagen“, blickt Alex im Gespräch mit Beat zurück auf die Anfänge.

Klarer wird der Sachverhalt vor dem Hintergrund, dass Alex damals als vielbeschäftigter Sounddesigner unterwegs war und Eric sich als Musiker bereits seit dem Jahr 2000 von Drum 'n' Bass ab und der experimentellen Musik zugewandt hat, die er seitdem erfolgreich auf „Sonar Kollektiv“ [3] veröffentlicht. Beide wurden also täglich mit E-Mails, MP3-Dateien, Infos, Reaktionen und Anfragen überschüttet: „Wir bekamen in dieser Zeit viele Tracks von Freunden, Label-Betreibern oder Musikern, und wir erkannten, dass wir über diese großen E-Mails zunehmend verärgert, statt begeistert waren. Die wenigen Werkzeuge, die wir hatten, machten die Arbeit mit diesen Tracks zunehmend zur Qual. Die Masse an Dateien macht dich einfach schwer und unbeweglich“, erinnert sich Alex.

Die Idee zu einem Produzentennetzwerk war geboren: „Wir wollten mit Soundcloud alle neuen Webtechnologien, die es in anderen Bereichen schon gab, auf eine Musikplattform übertragen. Es sollte eine Sammlung von Funktionen und Werkzeugen werden, mit der sich unsere Freunde, Künstler, Labels oder Studios weniger auf den Umgang mit dem Medium als vielmehr auf ihre Ideen und Inhalte konzentrieren konnten“, fasst Alex die Grundidee von Soundcloud zusammen.

Die Entscheidung, ihr Start-up gerade in Berlin anzusiedeln, traf die Crew innerhalb weniger Tage: „Wir verliebten uns sofort in Berlin, flogen nach Schweden zurück und zogen innerhalb einer Woche um. Danach programmierten wir Tag und Nacht und hatten schon zwei Wochen später die erste Version von Soundcloud online. Das war im Sommer 2007.“

Zwar ist die Teilnahme an Soundcloud grundsätzlich kostenlos, der Funktionsumfang der Plattform aber ist im Basiszugang stark eingeschränkt. Die kostenpflichtige Variante bewegt sich – je nach genutztem Umfang – zwischen neun und 59 Euro pro Monat, was die große Masse wohl davon abhalten dürfte, den Service mit MP3s zu überfluten.

 

Was ist also dran?

Was hat es denn nun mit dem neuen Service, dem weder Label wie Compost oder Bpitch Control noch Künstler wie Goldie, Richie Hawtin, Howie B oder MC Hammer widerstehen können, auf sich? Vereinfacht gesagt ist Soundcloud eine Musikplattform, auf der Produzenten, Künstler und Label öffentlich oder privat gemeinsam an Tracks und Releases arbeiten können. Herzstück des Systems ist dabei der innovative Soundcloud-Player, der die hochgeladenen Stücke nicht nur als Wellenform darstellt, sondern in seiner Zeitspur auch alle Arten von Kommentaren speichert. Anders als bei YouTube oder MySpace bekommen so ein „I like that“, „Love this shit“ oder selbst ein einfaches „Yeah!“ eine ganz andere Qualität, weil sie sich auf eine konkrete Stelle des Stücks, auf einen bewussten künstlerischen Ausdruck beziehen. Auf diese Weise entwickelt sich schnell ein konstruktiver Dialog über den Track als solchen oder auch über einzelne Elemente wie ein Bassline, Akkorde, Kadenzen oder das rhythmische Grundgerüst. Jeder Teilnehmer kann Stücke senden, Musik empfangen oder den Player auf der eigenen Webseite oder in fremde Dienste einbinden, auf Wunsch damit also auch attraktiv ein größeres Publikum erreichen. Abgerundet wird das Konzept durch die üblichen Web-2.0-Zutaten wie Kontakt- und Gästelisten, Gruppenfunktionen, Foren und umfangreiche Statistiken.

Gebündelt wird die gesamte Funktionalität in einer Oberfläche, die exzessiven Gebrauch von Javascript und Flash macht und sicherlich zum Elegantesten gehört, was das Internet derzeit zu bieten hat: Fenster liegen halbtransparent übereinander, viele Elemente sind interaktiv, reagieren auf die Mausbewegung, Infoboxen und Formulare blenden weich ein und aus. Bei diesem hohen künstlerischen und technischen Niveau wird klar, dass die Gründer ihren Service nicht gänzlich kostenfrei ins Netz stellen wollen, was nicht auf allen Seiten Begeisterung ausgelöst hat. Zudem: „Wir wollen Soundcloud auf einem hohen Qualitätsniveau und vor allem werbefrei halten. Alles in allem aber waren 90 Prozent aller Reaktionen positiv“, erläutert Alex die Startphase im Oktober.

 

Noch ein Netzwerk?

Mit den großen sozialen Netzwerken hat Soundcloud allerdings wenig gemein, obwohl es natürlich auch hier möglich ist, neue Leute kennen zu lernen. Auf die Unterschiede zu MySpace & Co angesprochen, antwortet Alex: „MySpace oder Last.fm richten sich in erster Linie an Musikkonsumenten. Soundcloud ist ein Werkzeug für den Profi, den Künstler, den Musikschaffenden. Auf Soundcloud kannst du mit wenigen Menschen viel erreichen. Auf den Massenplattformen geht es eher darum, mit vielen Menschen Kontakt zu bekommen, ohne wirklich etwas zu bewegen.“ Soundcloud versteht sich also vornehmlich als Plattform für die Entwicklung und den Austausch eigener Tracks innerhalb einer schon bestehenden Gemeinschaft: „Soundcloud ist ein Angebot an alle Menschen, die in irgendeiner Weise professionell mit Musik zu tun haben. Im Wesentlichen also an Künstler, Studiobetreiber, Platten-Label oder den Musikvertrieb. Die Zielgruppe lässt sich auch auf die Medienleute, Journalisten, Agenturen oder Postproduction-Studios erweitern“, fasst Alex die Adressaten zusammen.

Obwohl Soundcloud kommerziell ausgelegt ist, sieht sich die Plattform ein Stück weit als offenes Projekt. Alle Schnittstellen und Funktionen sind gut dokumentiert und – soweit nötig – von außen zugänglich. Soundcloud bietet fremden Entwicklern sogar eine Laufzeitumgebung an, in der sie ihre Abfragen online testen können: „Bei MySpace oder Facebook muss sich alles auf deren Seiten abspielen. Eine offene Plattform wie Soundcloud aber lässt sich auch problemlos in eine fremde Vertriebsstruktur integrieren. Das ist ein wichtiger Unterschied“, unterstreicht Alex nochmals den offenen Ansatz des Konzepts.

 

Verkaufen, verkaufen!

Obwohl Eric Wahlforss es schade findet, „dass das Prinzip, MP3s zu verkaufen, noch immer als primärer und notwendiger Ansatz einer Präsenz gesehen wird“, kann sich Soundcloud der harten Realität und den Marktzwängen nicht gänzlich verschließen. Wer sich als Künstler heute für die Direktvermarktung seiner Musik entschieden hat, ist auf entsprechende Werkzeuge wie TrackTracker [4] und die Verbreitung auf Massenplattformen angewiesen. Ein Anspruch, dem auch der Soundcloud-Player Rechnung trägt: „Schon jetzt lässt sich im Player ein 'Kauf-mich'-Link auf einen beliebigen Onlinestore setzen, in dem du deine Tracks bereits verkaufst. Wir schauen sehr genau auf die Wünsche der Anwender und werden weitere Funktionen integrieren, die den Online-Umgang mit Stücken erleichtert. Das könnte auch der Direktverkauf sein, ebenso eine Verbindung mit Leuten, die Tracks für dich verkaufen“, gibt Alex einen Ausblick, der neugierig macht.

 

Schneller, höher, weiter!

Klar, dass eine so innovative Plattform wie Soundcloud acht Wochen nach dem offiziellen Release technisch noch weit von ihrem Zenit entfernt ist. Und an frischen Ideen mangelt es im Berliner Büro nicht: „Geplant ist vor allem eine verbesserte Verteilung von Sets und Releases für Promozwecke. Dazu kommt ein Batch-Upload, um ganze Alben direkt vom Desktop aus online zu stellen. Ganz oben auf der Liste steht auch die Integration in andere Services, eine grafisch frei konfigurierbare Dropbox, neue Vertriebsfunktionen, viele neue Funktionen für Label, erweiterte Statistiken, neue Widget-Player und ein paar ziemlich coole Funktionen für die Zusammenarbeit untereinander“, beschreibt Alex Ljung die Palette kommender Erweiterungen bis zum Jahresende.

 

Zum Schluss

Im Gegensatz zu vielen Consumer-Plattformen bewegt sich Soundcloud musikalisch auf einem sehr hohen Niveau und erlaubt dank seiner engagierten Community ein produktives und konzentriertes Arbeiten. Mit zunehmender medialer Aufmerksamkeit aber wird sich auch dieses Netzwerk der breiten Masse stellen müssen. Es verfügt derzeit allerdings nicht über die nötigen Mechanismen, den drohenden Ansturm auf der Jagd nach den Warhol’schen 15 Minuten Ruhm zu kanalisieren und läuft damit Gefahr, ähnlich wie seinerzeit mp3.de oder BeSonic schlichtweg überrannt zu werden und in die Beliebigkeit abzudriften.

 

[1] http://alexanderljung.com

[2] http://forss.to

[3] www.sonarkollektiv.com

[4] www.tracktracker.com

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