Quelle: https://www.beat.de/news/portraet-ron-trent-10055451.html

Autor: Marco Scherer

Datum: 17.01.13 - 11:30 Uhr

Porträt: Ron Trent

Ron Trent gehört zu den Säulenheiligen der US-Historie von House und Techno. Wenn er im Frühsommer, gut zwanzig Jahre nach seinem persönlichen Urknall-Moment, dem Acid-Stück "Altered States", auf einem deutschen Label sein Album "Raw Footage" veröffentlicht, ist das nur ein Grund, den von Wissenden kultisch verehrten elektronischen Musiker zu (be)sprechen. Beat-Autor Frank Eckert geht auf die auf Reise zum elektronischen Geist.von Frank Eckert

Er ist wohl der einzige Chicagoer Produzent, den vor allem echte House-Music-Fans zitieren, neu entdecken und verehren, dessen bekannteste Nummer aber eine der wichtigsten Techno-Singles aller Zeiten ist. Im Jahr 1990 nimmt Trent, kaum 18, das Acid-Techno Stück "Altered States" auf. Eine epische, dringliche Ode der einfachen, doch hoch emotionalen Maschinensprache, bis heute. Heute, wo zwischen House und Techno das Schlagwort "Acid" wieder schwer "in" ist, wo von Underground bis Pop Old-School-Sound-Verweise die emotionalen Zeichen der Moderne ausmachen.

"Altered States" erschien 1990 auf dem Chicagoer "Warehouse" Label. Der gleichnamige Club bezeichnet namentlich schlicht ein Lagerhaus und war ein Club im Chicago der späten Siebziger. In der House-Music-Geschichte gilt das bis 1987 offen stehende Warehouse als Geburtsort von House. Im Warehouse trafen sich die Menschen, die Farben, die Stile. Hierher kam Ron, wenn unter Regie von DJ-Legende Frankie Knuckles Musik enormer Bandbreite lief: RnB, Disco oder Funk, im frühen DJ-Mix-Experiment mit europäischer Elektronik-Musik.

Chicago sells!

Ob durch seine Artists, seinen Sound oder klangvolle Koordinaten wie den genannten Labelnamen - seit den späten Achtzigerjahren hält Chicago als Referenz-System des heutigen Kurzbegriffs House ordentlich her. Auf seinem Rücken reiten in der elektronischen Musikszene Legionen: Produzenten, DJs, Musikjournalisten, Fans. Heute wird das "Chicago-Tag" als Verkaufsargument eingesetzt und springt einen in jedem dritten Promo-Zettel an. Chicago-Sounds sind wieder schwer hip, ganz gleich, wo ein Produzent herkommt.

Trent persönlich hat wohl weniger finanziell als rein künstlerisch von der "windy city" profitiert. Er lebt ein Künstlerleben, nicht das einer Galionsfigur im Rampenlicht. Er "predigte" als Lecturer 2007 auf der "Red Bull Music Academy", spielt aber seit Jahren kaum Gigs in der eher funktional gestrickten Club-Szene Europas. Mit der Chicago-Szene hat er kaum Gemeinsames. Was er zu verkaufen hat, ist etwas anderes als ein Aushängeschild: "Ich denke, der frühe Chicago-Sound war großartig. Ich habe ihn durchlebt, aber immer eine eigene Sichtweise vertreten. So ist auch die heutige Dance-Szene in Chicago nicht wirklich auf meinem Schirm. Sicher gibt es gute Sachen, aber mir ist das zu trendy gestrickt."

Dass heute in der elektronischen Tanzmusik der rohe und doch seelenvolle Sound à la Ron Trent (oder seinem Kult-Label "Prescription") Nachahmer und neue Freund findet, dass "Old School" überall als Qualitätsmoment gefeiert wird, das kann Trent einordnen: "Ich denke mal, das hat damit zu tu, dass sich auch heute wieder Leute auf die Suche nach dem Spirit machen, der im Prozess der Dance-Musik doch hier und da verloren ging, weil man sich auf kommende und gehende Trends stürzte. Old School meint heute wieder Authentizität, ich denke, danach suchen die jungen Produzenten!"

Die musikalische Reise

In Trents Leben ist Musik zweifelsfrei authentisch, sie ist die Reise an und zu sich. Was er in seiner Karriere noch erreichen wolle, und was er sich von dem Album erhoffe? "Ich möchte die musikalische Reise weiterführen". Punkt! Eine Reise übrigens, die sein Vater ihm in die Wiege legte. Der verdingte sich ebenfalls als Disco-DJ.

Jetzt macht Ron Trent Zwischenstopp, mit einem altersreifen Album, das ihn in seiner vollsten Blüte zeigt. Der vielleicht beste Trent seines Lebens empfiehlt sich 2012 passgenau mit diesem Album, das ihn als übergeordnete Größe auszeichnet. Mit Musik, die alle Knotenpunkte seines Schaffens aufarbeitet. "Raw Footage" heißt übersetzt soviel wie "rohe Fußnoten". Das Album bietet Tracks, Verweise und somit Fußnoten en Masse. Rhythmische Muster aus Afro und Latin, Techno, House, Jazz und Funk oder an die Siebziger angelehnte Synthie-Exkursionen verarbeitet Trent samt der Macht der geraden Bassdrum zu einem einzigartigen Ganzen. Seine Zitierkunst ist so feingliedrig wie schöngeistig, kraftvoll, erhaben, zeitlos.

Wer zeitlos ist, der kann sich Zeit lassen - und für den spielt die Zeit schließlich möglicherweise das beste Blatt. So könnte es zumindest nach dem Release von "Raw Footage" aussehen, in einer Zeit, in der die elektronische Szene nach dem digitalen Overkill in den letzten zwei Jahren wieder maßgeblich den Charme der analogen, elektronischen Musikproduktion entdeckt. Das Gefühl, die Authentizität - auch der menschlichen Nebeneffekte analoger Geräte -, das steht heute wieder hoch im Kurs. Und wo bekommt man das alles besser als bei einem Altmeister? Wenn heute reihenweise Produzenten wieder alte Geräte kaufen, entstauben und in ihre Tracks einbringen, kann Trent eher müde lächeln. Auf die Frage, ob er in all den Jahren digitalen Fortschritts seit dem Erschaffen von "Altered States" je analoge Geräte verkaufte, hält er eine bloß knappe Antwort parat: "Niemals!"

Studio = Spirit

Sein Studio ist ihm heilig: "Für mich gilt: Das Leben bedeutet Elektronik. Und Elektronik bedeutet Magie! Ich bin maßgeblich davon angetörnt und in Schwingung mit bestimmten Sounds. Sounds, die mich auf die richtige Art und Weise berühren." Den gesamten Produktionsprozess bezeichnet Trent in der Folge des Gesagten als "ethereal", was nur ungenau zu übersetzen ist. Kann es doch ‚flüchtig', wie ‚himmlisch' bedeuten. Die Poesie und Tiefe, die seiner Kunst, seinem Ansinnen damit aber innewohnt, ist seit je überwältigend. Das wird auch auf "Raw Footage" deutlich. Hier gibt es keine Tool-Musik, sondern dramatische, selten unter zehn Minuten rangierende elektronische Epen, Erzählungen und Dramen. Teils für den Dancefloor, meist für das aufmerksame Zuhören und Abdriften, immer aber für die Seele! Aus einem Studio voll geheimer Seelenkrämerei, wenn man so will.

Alle Geheimnisse lässt Trent nicht raus. Auf das Nachbohren, welche Maschinen er genau im Setup habe, gibt er sich verschlossen: "Ich bin ein Logic-Typ. Seit den Neunzigern, seit mich Francois Kevorkian in seinen Wave-Studios damit bekannt machte. Damals hatte ich einen Engineer, der aufnahm, was ich spielte. Schließlich kaufte ich mein eigenes Logic, nachdem ich es ausreichend studiert hatte. In meinen Anfängen war ich strikter MPC-Nutzer, neben einigen Modulen. Heute habe ich immer noch eine MPC, meine Mac-G5-Basis, ein Rhodes-Piano, eine Batterie an Percussion-Instrumenten von Conga bis Djembe, ein Schlagzeug-Set, Mikrofone meiner Wahl. Ich kann nicht alles verraten, aber ich kann sagen, dass mein Studio einen großen Geist in sich trägt."

Natürlich spricht Trent so ehrfürchtig von Spirit, wie er "ethereal" sagt. Er stützt sich nicht auf das Eigenleben der Plug-ins, sondern nutzt Technik, um sein sprichwörtliches Handwerk zu erweitern. Die alte Schule, die so klingt, wie nur die alte Schule klingt.

Music & Power Worldwide

An diesem Punkt nimmt es emotional gesprochen kaum Wunder, dass heute nicht zuletzt blutjunge Produzenten in osteuropäischen Ländern den Charme der "Old School" und ihres Spirits erarbeiten und nachformen. Aus Ländern, in denen House, Techno und alle seine Codes erst seit Ende eines Krieges, Unabhängigkeit eines Staates oder der endlich verfügbaren Internet-Leitung so richtig ankamen. "Altered States" (veränderte Zustände) formen hier Forscherherzen, Passion und eine Sichtweise auf Musik als weit mehr denn reine Unterhaltung. Den aufrichtigen Ouput der dortigen Produzenten verlegt der - Achtung: Old School - Vinyl-Vertrieb DBH aus der Techno-City Frankfurt. Die weit gereisten Macher hauen in Kollaboration mit Künstlerkollektiven aus Weißrussland kleine Vinyl-Auflagen raus, auf denen zwar die Artists nicht genant werden, die Musik aber ähnliche Wirkmacht wie Trent auslotet.

Die handgestempelte Labelreihe "Chiwax" etwa (Chicago Wax) ist dabei ebenso kluges Marketing wie Seelenfutter. Magazine berichten, Labelnächte entstehen, quer durch Europa. Die Verbindung zu Trent und in die Staaten? Die zwischen Chicago und FFM gefühlte Seelenverwandtschaft, die Trent überzeugen konnte, hier eigens für sein Album ein gemeinsames Label ("Electric Blue") zu gründen, auf dem "Raw Footage" nun erscheint. Es geht um die Sache, die Seele, den Sound.

Oder wie es auf Trents Homepage heißt: "Check in for music and power in your life!" Seine weitere Botschaft, die gekonnt Technik und Spiritualität verwebt, hält er gleich auf dem ersten Track seines Albums bereit. Auf "Message To The World" heißt es "We use our drums to tell the story of the street we send our message to the world. (...) music is sacred, the language is profound."

Wer also Musik als die beste Sprache der Menschheit erkannt hat, der muss dem Prediger Trent Gehör schenken. Der seinerseits bescheiden mitbetet: "Ich möchte nur, dass meine Musik die richtigen Leute findet und berührt!"

Der Chicagoer …

… Ron Trent ist DJ und Musikproduzent der elektronischen Musikszene. Trents Vater war schon ein DJ gewesen, was bereits in der Kindheit erste Einflüsse auf ihn hatte. 1990 veröffentlichte Ron, als er noch auf der Highschool war, auf Armandos Plattenlabel "Warehouse Records" den Track "Altered States", was zum weltweiten Club-Erfolg wurde. Danach begann er mit verschiedenen Produzenten aus Detroit, darunter Chez Damier, sowie dem Berliner Produzenten Maurizio zu arbeiten.

Diskographie:

1999 | Primitive Arts

2007 | Ancient Future

2009 | Dance Classic

2012 | Raw Footage

www.rontrent.com