Quelle: https://www.beat.de/news/packendes-interview-dj-kaskade-dreht-sich-alles-show-10066248.html

Autor: Tobias Fischer

Datum: 15.04.17 - 10:29 Uhr

Packendes Interview mit DJ Kaskade - Es dreht sich alles um die Show

Kaskade ist nicht nur einer der größten DJs und Elektronik-Produzenten des Planeten, er ist auch einer der umstrittensten. Ryan Raddon äußert gerne seine Meinung und macht sich damit nicht nur Freunde. Im Gespräch mit Tobias Fischer entpuppte er sich jedoch als noch etwas ganz Anderes: Ein Traditionalist und ein tief fühlender Künstler, der den Kontakt mit dem Publikum nie verloren hat.

Beat / Du spielst heute vor riesigen Menschenmassen. Dabei hast du, meine ich, ganz bescheiden mit dem DJing angefangen.

Kaskade / Losgegangen ist es mit dem DJing bei mir schon auf der High School. Ich bin jedes Wochenende in das Herz von Chicago gereist und wurde dort mit der wahren House-Musik konfrontiert. Es war der richtige Moment dafür, nicht nur für mich persönlich, sondern für das Handwerk als Ganzes. Es war der Zeitpunkt, in dem das moderne DJing, das wir heute kennen, entstanden ist.

Beat / Hattest du damals schon ein eigenes Set-Up?

Kaskade / Ja, aber es war, wie du bereits gesagt hast, sehr einfach. Es bestand aus zwei Technics 1200ern und einem wirklich miserablen Mischpult. Aber wenn ich ehrlich bin, hat sich mein Equipment seitdem kaum geändert. Mit dem Unterschied, dass ich die Plattenspieler gegen 4 CDJs und das schlechte Mischpult gegen einen Pioneer-Mixer eingetauscht habe.

Beat / Ein recht traditionelles Set-Up für heutige Verhältnisse.

Kaskade / Ich sehe mich auch als einen Traditionalisten. Es gibt Leute, bei denen laufen immer mehrere Laptops und Software-Anwendungen zur gleichen Zeit. Ich aber möchte nahe am Kern des DJings bleiben. Die Technologie beschleunigt meine Prozesse. Aber das dahinterstehende Konzept ist eigentlich immer noch das selbe wie zu dem Zeitpunkt, als ich angefangen habe.

Von der Redaktion empfohlener Inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.

Beat / Wie bereitest du dich auf deine Gigs vor – auch eher traditionell?

Kaskade / Auf jeden Fall. Ich reise mit SD-Karten herum. Die sind für mich mein virtueller Plattenkoffer. Darauf befinden sich zwischen 3.000 und 4.000 Songs. Die Eröffnungs-Sequenz bereite ich schon mal genauer im Studio vor und produziere sie komplett durch. In diesen Teil der Show investiere ich viele Gedanken. Das Intro ändert sich auch, je nachdem wo ich spiele. Es hängt von der Location ab, wie das Publikum in den sozialen Medien auf die Ankündigung reagiert hat und was für ein Hype die Veranstaltung umgibt. Irgendwann verlasse ich dann die vorbereiteten Pfade und schaue in Echtzeit was funktioniert.

Live Komponieren

Beat / Es ist interessant, dass du immer noch bestimmte Teile deines Sets vorbereitest. Für viele DJs ist das völlig freie Agieren ein Zeichen der Reife.

Kaskade / Ich sehe es eher anders herum. Wir sind ganz nahe an einer Welt, in der das Produzieren so einfach ist, dass die Künstler ihre Live-Sets komponieren werden. Das ist dann wie ein Konzertpianist, der auf der Bühne improvisiert. Ich erwarte, dass das spätestens in zwanzig Jahren eintritt. Und wenn es soweit ist, werden die Grenzen zwischen Aufnahmen und Live-Musik in der Elektronik größtenteils verschwimmen.

Beat / In gewisser Weise sind sie das ja schon.

Kaskade / Stimmt. Das Großartige an elektronischer Musik ist, dass wir dem Status Quo immer einen Schritt voraus sind. Das ganze Genre ist, so könnte man sagen, respektlos.

Beat / Respektlos?

Kaskade / Ja, es wäre mir unvorstellbar, nicht jedes Stück Musik nehmen und formen, verändern und als Ausgangspunkt für eigene Kreationen nutzen zu können. Es ist doch cool, wenn Leute bereits bestehende Elemente verwenden und sie auf eine unerwartete Weise neu zusammensetzen. Ein neuer Mix, der Mashup eines Songs … sie alle kommen doch durch die Liebe zur Musik in die Welt. Sie sollen Emotionen provozieren. Darum geht es doch.

Beat / Wie provoziert man mit einem DJ-Set genau diese Emotionen?

Kaskade / Es geht darum, dass du einen Fluss erzeugst. Ein tolles Set entsteht dann, wenn du auf dem Dancefloor stehst und überhaupt nicht mehr merkst, dass da jemand etwas zusammen mischt. Sogar wenn du als DJ die Tracks gerne nur kurz antippst und grobe Übergänge erzeugst - was im Übrigen eine vollkommen legitime Technik ist - solltest du dich immer fragen: Wie fließt die Musik von einer Stelle zur nächsten? Wenn das Set in eine dunkle und minimale Stimmung gleitet, ohne dass dein Intellekt sich dabei einschaltet, dann steht ein echtes Talent hinter den Decks. Ich habe ein solches Talent live in Aktion gesehen, als ich 1998 bei einem Roni-Size-Gig war. Ich hatte damals noch nie einen Drum-n-Bass-DJ auflegen gehört und hatte vorher keinerlei Erwartungen. Das Erlebnis war unfassbar kreativ und neu. Ich hatte so etwas noch nie vorher gesehen.

Beat / Wie setzt du ganz konkret dieses Ideal in deinen Sets in die Praxis um?

Kaskade / Zu Anfang habe ich eine Zeit lang die Pioniere des House nachgeahmt – Frankie Knuckles, DJ Sneak oder Hot Mix 5. Dieser Sound hat mich einfach inspiriert. Um so mehr ich mich damit beschäftigt und mich in das Thema Sound Design vertieft habe, um so mehr faszinierten mich auch das Songwriting und Melodien. Ich lernte, wie man das Songformat dazu verwenden kann, mich von einem reinen Kopieren zu einer persönlichen Ausdrucksform zu bewegen. Heute befinde ich mich an einem Ort, an dem der Song das zentrale Element ist.

Von der Redaktion empfohlener Inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt von Soundcloud, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.

Tättowierte Emotionen

Beat / Warum genau ist dir der Song so wichtig?

Kaskade / Ich habe inzwischen viele Jahre Songwriting-Erfahrung hinter mir. Manche meiner Fans haben sich meine Texte als Tattoo auf die Haut malen lassen. Ich kann mich also auf einen Katalog stützen, der unzählige verschiedene Stimmungen umfasst und den ich zu 100% selbst geschaffen habe. Wenn ich mein Set zusammenstelle, dann versuche ich, aus diesem Fundus zu schöpfen und die Songs auf eine Weise zusammen zu stellen, die dich überrascht und die frisch klingt. Wenn du so willst, spiele ich meine eigene Musik als DJ. Es ist jedenfalls kein Konzert. Und ich mische auch verschiedene andere Dinge hinein, die zu dem passen, was mich zu diesem Zeitpunkt beschäftigt. So mache ich das schon seit 25 Jahren. Jeder Tag im Studio ist eine Vorbereitung auf eine Show. Wirklich alles dreht sich um die Show. Für mich ist es das, was das DJing heute ist: Das öffentliche Zurschaustellen deines Werks.

Beat / Wenn also in den Medien die beiden Disziplinen getrennt werden, ist das deiner Meinung nach eine künstliche Trennung?

Kaskade / Ja, man kann sie nicht separieren. Ich habe einige meiner besten Produktionen nach einer späten Nacht im Club geschrieben. Gerade heute besteht zwischen den beiden eine gegenseitige Abhängigkeit. Jeder mit einem Laptop kann Tracks schrauben, aber wenn du keine Shows gibst, dann produzierst du diese Tracks für ein schwarzes Loch. Für mich ist es wichtig, dass ich meine Musik auch mit anderen teile. Dadurch, dass ich mich öffne, bekomme ich auch wieder Inspiration, die nicht nur in mir selbst begründet ist. Jede Nacht, in der ich spiele, sehe ich hunderte verschiedener Geschichten, die sich vor meinen Augen abspielen. Und die beeinflussen mich zwangsläufig.

Lesetipp

Der Stadion-Gig: Feiern, bis die Drone kommt

Das Konzert ist wieder der Mittelpunkt der Musikwelt. Aber ist es überhaupt noch als solches erkennbar? Musik wird zum Träger für immer... mehr

Beat / Wenn man so nah mit dem Publikum auf Tuchfühlung geht, besteht da nicht die Gefahr, ihm zu sehr zu geben was es möchte – und das eigene Profil zu verwässern?

Kaskade / Das ist eine ewiger Balance-Akt. Für mich ist die Beziehung zum Publikum eher eine Kollaboration. Es ist oft so, dass den Besuchern etwas zunächst nicht gefällt. Langfristig aber wissen sie es dann doch zu schätzen. Die Wirkung ist zuerst nicht so bemerkenswert, aber es bleibt etwas hängen. Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als ich mein Debüt-Album „It's You, It's Me“ gespielt habe. Die Leute haben mich zunächst einfach nur angestarrt. Ihnen war klar, dass sie das nicht kannten und haben einfach nur zugehört. Und das gleiche passierte, als ich „Atmosphere“ beim Ultra-Festival 2014 vorgestellt habe. An den Blicken konnte ich erkennen, dass die Gäste am liebsten mitgesungen hätten, aber die Texte einfach noch nicht kannten. Es gab dann einen Augenblick, in dem sie allmählich in den Songs aufgegangen sind. Irgendwann „saß“ der Refrain dann. Wir haben uns das gemeinsam erarbeitet.

Dieses Interview ist in unserer Heft-Ausgabe 130 erschienen.

www.kaskademusic.com

www.facebook.com/kaskade