Quelle: https://www.beat.de/news/label-portrait-international-deejay-gigolo-10055556.html

Autor: Beat

Datum: 24.02.13 - 12:46 Uhr

Label-Portrait: International Deejay Gigolo

Die Geschichte von International Deejay Gigolo beginnt als Seitenprojekt des seinerzeit bedeutend bekannteren Disco-B. Inzwischen hat DJ Hells kreative Spielwiese eine beeindruckende Langlebigkeit an den Tag gelegt – und sich auf einem von austauschbaren Plattenfirmen übersäten Markt eine ganz eigene Nische erkämpft.von Tobias Fischer

Erkennbarkeit, so lehren einen Marketing-Apostel, sei die einzige Möglichkeit, als Label zu überleben. Solche Weisheiten freilich kümmern jemanden wie Helmut Geier herzlich wenig. Die Mechanismen des Marktes waren bei ihm schon immer den Gesetzen des Tanzflurs untergeordnet und veröffentlicht wurde nicht, was angesagt war, sondern nur, was er auch in einen seiner eigenen Sets als DJ Hell spielen würde. Im Jahr 2002, zum Höhepunkt des Electro-Clash-Booms, den er selbst maßgeblich eingeleitet und dem er einen Namen und ein Gesicht verliehen hatte, zog er sich, angewidert von der musikalischen Einfallslosigkeit der Szene, unvermittelt aus ihr zurück und verlagerte den Schwerpunkt auf seine alten Lieben – Chicago House und Detroit Techno. Es war nicht das erste Mal, dass Gigolo nach für Außenstehende praktisch nicht nachvollziehbaren Gesetzmäßigkeiten die kreative Ausrichtung änderte oder sich einer anbahnenden Vereinnahmung durch Community oder Presse entzog. Doch was es durch diese Umbrüche an einfacher Image-Zuordnung einbüßte, hat das Label durch musikalische Qualität praktisch immer wettgemacht.

Dass Gigolo bis heute eine bunte Spielwiese für den ungemein vielschichtigen Geschmack von Hell geblieben ist, wird wieder auf der aktuellen Folge der jährlichen „We are Gigolo“-Label-Zusammenstellung, die bereits in die dreizehnte Runde geht, deutlich. Hypnotische Trance-Hymnen und Jazz-House-Angehauchtes steht darauf neben Poetry-n-Beats-Experimenten und einer Neuauflage von L.U.P.O.s Klassiker „Hell or Heaven“. Mit einem elegisch-verträumten Club-Edit von Gillas „Der Strom der Zeit“ erlaubt sich der gebürtige Münchner sogar einen Abstecher in Schlagergefilde, der aber auf dieser einundzwanzig Tracks umfassenden Tour de Force kein bisschen deplatziert wirkt. Peinlich, so wird einem schon bald klar, ist Geier so gut wie nichts. Ironisch oder gar humorvoll gemeint sind diese Referenzen aber auch nicht. Vielmehr geht es um einen Aspekt, der in einer zunehmend durchprofessionalisierten Industrie immer mehr an Gewicht verliert: Spaß. Und den macht „Gigolo Music Ltd 13“, vertreten von Künstlern wie Christian Prommer, Dannzy Daze oder der Snuff-Crew, über die gesamte, mehr als zwei Stunden währende Spieldauer praktisch ausnahmslos.

Damit ist die Veröffentlichung so etwas wie eine Art Metapher für die Geschichte von Gigolo insgesamt geraten. Denn statt sich von anderen sagen zu lassen, was er zu tun und lassen habe, ging es bei dem Unterfangen stets um komplette Selbstbestimmung: „Ich wollte nach meinen eigenen Regeln arbeiten, releasen und Partys veranstalten“, so Hell. „Die ersten Jahre gab es nicht mal Promos von Gigolo Records, bis dann 2000 die sogenannte „Terrorpromotion“ weltweit ins Leben gerufen wurde.“ Es passt in diesem Zusammenhang, dass sich gerade in den frühen Jahren vieles aus Zufällen, persönlichen Bekanntschaften und spontanen Eingebungen heraus ergab.

„Wir sind damals neue Wege gegangen und das war auf alle Fälle sehr kompromisslos, was die Auswahl der Künstler und Musik betrifft. Es gab Zeiten, da wurden zwei bis vier Maxis im Monat veröffentlicht und zwei Alben oben drauf. Es gab sogar Hörspiele oder Unterwäsche mit Agent Provocateur oder auch Toilettenpapier. Und alles, was an Profit eingespielt wurde, wurde umgehend investiert in Touren, Videos, Promotion und Marketing“, erinnert sich Hell. In der Doku „Freakshow“ begleitete die Regisseurin Angelika Lepper ihn und sein Team auf einer Nordamerika-Tour und fing dabei nicht nur den Spirit dieser Jahre kongenial ein – Schmuse-Sessions mit verliebten Hunden, wahnwitzige frühmorgendliche Konversationen vor dem Club und DJ-Sets in Turnhallen inklusive –, sondern enthüllte auch einige der entscheidenden Hintergründe: wie Jeff Mills dem Label eine komplette EP mit neuem Material kostenfrei zur Verfügung stellte, beispielsweise, oder wie die Nutzung von Arnold Schwarzenegger als Label-Maskottchen zu einem Gerichtsstreit und medialer Aufmerksamkeit führte. Entnervend ist diese grobkörnig gefilmte Achterbahnfahrt gelegentlich – langweilig aber nie.

Mit Acts wie Kernkraft 400 begann kurz danach der Aufstieg von Gigolo in die Spitzenliga, der mit dem Erfolg des Electro-Clash-Duos „Fischerspooner“ einen Höhepunkt erreichte. Danach war, wie Hell es heute auf den Punkt bringt, nichts mehr, wie es war. Als der Erfolg das Label zu überrollen drohte, zog man sich zurück und baute die Plattform von Grund auf musikalisch neu auf. Wobei „neu“ hier vor allem bedeutet, bereits bekannte Strukturen immer wieder anders zusammenzustellen, die Saat, die in den späten Achtzigern zum ersten Mal ausgesät wurde, auf frischem Boden erneut aufblühen zu lassen. Vor allem aber geht es darum, den Begriff der Erkennbarkeit durch einen noch viel Wichtigeren zu ersetzen: Einzigartigkeit. Und daran, dass dieses Label einen unverkennbaren Stil entwickelt hat, werden nicht einmal seine entschiedensten Gegner ernsthaft zweifeln.