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Drum-&-Bass: The Green Man

Kruse der Szene ein Forum, mit seinen Produktionen als „The Green Man“ setzt er immer wieder neue Akzente. Auf dem aktuellen Album „Sound Power“ hat er sich selbst übertroffen. Ein Gespräch über Drum-Programmierung, die Schichtung von Subbässen und die Bedeutung von Roots.von Tobias Fischer

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Mit dem ersten Green-Man-Album „You Decide“ landete Heiner Kruse nicht nur einen kleinen MTV-Hit („Infinity“), sondern katapultierte zudem den deutschen Drum-&-Bass in die Weltliga. Es hat zwölf Jahre gedauert, bis nun mit „Sound Power“ ein Nachfolger erscheint. Dabei handelt es sich immerhin gleich um eine Doppel-CD mit immerhin zweieinhalb Stunden Musik – und dem bemerkenswertesten Drum-&-Bass-Album seit Jahren. Höchste Zeit, mit Heiner ein Gespräch zu vereinbaren, um über die „Sound Power“ und seine Produktionsphilosophie zu sprechen.

Beat / Wieso hat sich gerade jetzt so viel Material angestaut?

TGM / Das war unheimlich schwer für mich. Mein erstes Album hat Combination mit Philipp von den Phoneheads veröffentlicht, und wenn er da nicht die Initiative ergriffen hätte, wäre es wohl auch nicht herausgekommen. Diesmal hat es mir sehr geholfen, Grafik-Design zu erlernen und das Layout selbst zu machen. Es war ein „Work in progress“, ich hätte einem Grafiker nicht vorher sagen können, was das eigentlich werden soll und wie es heißen wird. Im letzten Jahr hatte ich einen guten Output und habe viele Ideen, die schon fast fertig waren, auch noch einmal ein bisschen geschliffen.

Beat / Die Reggae- und Dub-angehauchten Tracks verleihen dem Album, neben einigen experimentellen Stücken, eine ganz besondere Note …

TGM / Ich liebe diese entspannte Stimmung, die Sounds und die Beats. Das hat mich genauso beeinflusst wie die elektronische Musik der Achtziger. Wobei ich insgesamt gerne „kombiniere“ und Streicher aus der Klassik oder Elemente aus dem Jazz, Rock oder Minimal-Techno einbaue. Neulich habe ich gelesen, dass die Metalheadz-Leute mit den Blue-Note-Sessions angefangen haben, weil ihnen die Vocal- und Reggae-Jungle-Tracks aus dem Hals hingen, die es an jeder Ecke zu hören gab. Ich aber mochte beides, und in Köln habe ich keinen Überfluss an Reggae-Jungle erlebt. Noch heute gibt es oft eine Kluft zwischen sehr oldschooligem Ragga-Jungle und modernen Produktionen. Daher reizt es mich, solche Vocals mal mit modernerem oder anderem Sound zu kombinieren.

Beat / Du bist ja schon sehr früh nach England gefahren, um dich dort über das Thema Mastering zu informieren. Was hast du dort gelernt?

TGM / In den neunzigern habe ich gelernt, dass die Engländer lauteres Vinyl geschnitten und Verzerrungen in Kauf genommen haben, was bei deutschen Vinylschneidern verpönt war. Auch mit weniger starkem Mastering klangen die Platten oft besser und lauter. Dieses Mal habe ich zum ersten Mal externes Mastering für ein digitales Medium ausprobiert, wobei ich einige Tracks von verschiedenen Leuten habe pre-mastern lassen. Der eine Engineer klingt etwas cleaner, der andere bringt mehr Verzerrung rein, nach einer Weile habe ich verstanden, wer welche Veränderung bringt. An den ersten Versuchen hatte ich öfter etwas auszusetzen, oft war dann ein zweiter, korrigierter Versuch zu meinem weiteren Erstaunen besser. Ich habe dann aus dem Bauch heraus entschieden, was welches Stück braucht und den Rest und das Album insgesamt dann fertig gemastert und zusammengestellt. Wenn ich selbst mastere, wird es tendenziell sauberer und ziemlich bassig. Die Herausforderung ist es, trotz heftiger Basssounds eine akzeptable Lautstärke zu erzielen, ohne den Beats ihren Punch zu nehmen.

Drum …

Beat / Die Drums sind wohl immer noch der wichtigste Aspekt bei einem Drum-&-Bass-Track. Womit arbeitest du in dieser Hinsicht?

TGM / Percussions können ja fast eine Art Melodieersatz sein, das ist ja eigentlich ein Konzept aus der „Minimal Music“. Auch bei den Drumsounds muss man deswegen genau hinhören, sie eventuell richtig stimmen, sie leicht unterschiedlich klingen lassen, subtile Effekte einbauen. Maschine hat eine gute Drumsound-Bibliothek, in der man sehr schnell gute Schlagzeugsounds zur Hand hat, in die man auch leicht eigene einfügen kann, weil die Samples in der Datenbank getaggt sind. Ganz im Gegensatz zu Kontakt, bei dem die Zahl der Samples zum Beispiel durch die Orchester-Bibliotheken zu groß dafür ist.

Beat / Beginnt bei dir die Arbeit an einem Stück immer mit den Drums?

TGM / Nein, die Arbeit beginnt nicht immer mit den Drums, das ist eher bei den minimalen Stücken wie „Stay True“, aber auch bei „Word, Sound, Power“ der Fall gewesen. Die Drums sind bei Drum-&-Bass natürlich schon sehr wichtig und prägend. Ich folge aber einer anderen Methode: Ich fange mit dem Haupt-Musik-Motiv an und bounce die Idee mit eher rohen Drums. Dann höre ich mir das mit etwas Abstand an und arbeite an der Idee weiter, die am meisten im Kopf „hängengeblieben“ ist. So war es beispielsweise bei „Infinity“ oder jetzt bei „Electronic Supersymphonic“.

Beat / Wie stehst du der Verwendung bestimmter typischer DnB-Samples gegenüber oder beispielsweise dem Amen-Break?

TGM / Die Breaks geben Vibes, auch wenn sie langweilig werden können, wenn man sie zu penetrant einsetzt. Bei „Word, Sound Power“ zum Beispiel wäre das Stück ohne die alten Schnipsel zu „clean“ für meinen Geschmack. Andererseits ist es bei so einem Track echt schwer, den richtigen rhythmischen Einsatz und die richtige Abmischung für solche Drums zu finden, damit sie sich einfügen und nicht wie ein Fremdkörper wirken.

Beat / Zerlegst du die Breaks vorher?

TGM / Ja, ich slice meistens alles in Einzelteile und setze dann jeden Schlag gezielt, beziehungsweise ich spiele zuerst spontan auf dem Keyboard und mache dann Feinkorrekturen. Das war beim genannten Track eine Arbeit, die viel Zeit verschlungen hat, selbst wenn die Änderungen der Ergebnisse oft nur minimal sind. Die Mühe lohnt sich. Andererseits haben auch Tunes mit reinen Breaks noch ihre Berechtigung, speziell, wenn der Rest gut ist. Man verbietet im Techno ja auch nicht die Vier-Viertel-Bassdrum, weil man sie zu oft gehört hat. Die alten Loops bringen manchmal die richtige Stimmung, können aber andererseits manchmal nicht so sauber klingen und von den Drums her nicht so knallig laut sein. Ähnlich wie in RnB und Hip-Hop liegt es daher nahe, elektronische Drums und Einzelsounds mit alten, mikrofonierten Breaks zu layern. Aber natürlich baue ich auch oft Beats komplett ohne alte Sounds, aber mit ähnlicher Energie neu.

… und Bass

Beat / Welches sind deine Hauptkriterien beim Produzieren von Bässen?

TGM / Ein Basssound hat Charakter, er ist wie eine Persönlichkeit. Ich achte immer darauf, dass genug „Sub“ da ist. Oft lege ich noch einen Subbass drunter. Ich hab auch mal einen Track gemacht, der wobbelt ohne Ende, das war 2005 „Slavery planned“. Aber Wobble-Sounds finde ich immer sehr dominant, da bleibt nicht mehr so viel übrig für die anderen Sounds, um einen „Vibe“ zu erzeugen. Viele Kids benutzen extreme Wobbles und Synths in Funktionen, die früher Heavy-Metal-Gitarren hatten. Ist ja auch logisch, irgendwann werden die Gitarren langweilig, dafür machen die Synths nun nie zuvor gehörten Krach, der die Crowd ausflippen lässt. Aber meist finde ich, dass diese Sounds eher „Leads“ sind, unter Bässen stell ich mir etwas Subbigeres vor. Ich produziere durchaus auch für die Wirkung auf der dicken Anlage mit einem fetten Sub, so wie ich es aus dem Gebäude 9 kenne. Das ist einfach ein Wahnsinns-Kick, solche Tracks dort zu hören. Andererseits muss man auch bei der Abmischung manchmal Kompromisse machen. Ich höre auch oft auf NS 10s gegen, wie man sich dank meines Album-Covers vielleicht denken kann, um zu checken, dass die Sachen auch zu Hause gut klingen. Manchmal mixe ich meine Dubs sehr bassig ab, fürs CD-Mastering muss dann eventuell noch etwas Sub-Bass herausgenommen werden.

Beat / Warum verwendest du so gerne Ableton Live?

TGM / In Ableton Live gibt es viele „Sounddesign“-Features, die sehr in die Tiefe gehen. Man kann alle möglichen Kombinationen aus mehreren Instrumenten und Effekten komplex verkabeln und trotzdem als einen einzigen Sound speichern. Noch dazu kann man das nicht nur für spielbare Instrumente machen, sondern solche massiven Kombinationen auch einfach als Sound auf ein Drumpad legen. Diese lassen sich dann wiederum als einziges Drumkit-Patch speichern, das ganz viele solcher komplexen Sounds beinhalten kann, ohne dass es unübersichtlich wird. Außerdem agieren die Hüllkurven sehr präzise, so dass Operator eben etwas anders klingt als FM8 und Granulator für mich der am weichsten, musikalischsten und am besten klingende und am besten zu bedienende Granularsynth ist. Das sind schon einzigartige Features in Ableton Live. Manchmal arrangiere und mixe ich dennoch in Logic oder Pro Tools, dann finde ich es schade, dass es Ableton nicht als Plug-in gibt. Denn im Rewire-Mode kann man die Max4Live-Instrumente und auch alle anderen Plug-ins ja nicht nutzen. Abgesehen davon, dass Rewire vom Timing und Handling oft schwer beherrschbar wird, wenn man etwas live einspielen will.

Beat / Ist DnB noch immer imstande, kreative Sprünge nach vorne zu machen?

TGM / Die Neurofunk-Orgien sind technisch kaum zu toppen, doch ohne ausreichend musikalische Kreativität wird es nun für meine Ohren langsam langweilig – wurde es aber eigentlich schon immer. Es wird immer Platz sein für Spiele mit neuer Technik bei DnB, und die neuen Software-Synths haben noch einiges an ungehörtem Potenzial. Es wird aber immer auch eine Art Drum-&-Bass geben, die eher deep ist und nicht so plakativ, die daher auch nicht so im Vordergrund steht, aber trotzdem für eine große Hörerschaft von Musikfans viel bedeutet. Da geht es dann manchmal auch eher um Qualität und Details als um Fortschritt.

www.thegreenman.de | www.basswerk.com

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